vom Sorgenkind zum Filmstar

Zugegeben, unser kleiner Alf hatte wohl den schwersten Start, den ein Küken nur haben kann.

Es war im letzten Sommer, als ein kleines weißes Ei aus dem warmen Nest gerissen wurde und verpackt in ganz viel Plastik Kilometer um Kilometer hinter sich legte. Ich hatte Bruteier bestellt, da solche von Paduanern so schwer in meiner Gegend zu finden waren (Paduaner sind ganz lustige Haubenhühner, ihr werdet noch sehen..) Und irgendwie war das auch nichts Ungewöhnliches, sich Eier schicken zu lassen. Ich war guter Dinge.

Als ich dann mitten im Urlaub eine Mail bekam, dass die Eier schon auf dem Weg waren -was nicht so abgemacht war- wurde ich unruhig. Schließlich war niemand da und ehe ich irgendetwas dagegen tun konnte, landeten sechs kleine Eier in der Paketstation.

Mit einiger Verspätung und ich voller Ungeduld, war es dann endlich soweit: das Ausbrüten begann:

Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass sich nur eines der Eier anständig entwickelte. Drei waren nicht befruchtet und zwei Embryos starben während der Brut. Nur eines nicht, eines kämpfte weiter.

Ich weiß immer noch nicht, wie ich die Zeit bis zum Schlupf überbrückt habe; für ungeduldige Menschen gibt es wohl nichts schlimmeres als 21 Tage Brutzeit (ich weiß gar nicht, wie das mal bei 9 Monaten werden soll…). Um so schlimmer war es, als ich an Tag 21 noch kein Pickloch erkennen konnte. Es war durchaus normal, dass das ein oder andere Küken mal länger braucht, aber ein gutes Gefühl hatte ich nicht. Ich saß stundenlang vor dem Brutautomat und irgendwann fiel mir etwas auf; eine kleine Auswölbung an der Unterseite des Eies. Sehr wohl hatte unser kleines Küken schon gepickt, nur auf der falschen Seite! Normalerweise wird das Ei oben angepickt und ich las  zu meinem Erschrecken nach dass bei falschem Anpicken die Eiflüssigkeit nach unten läuft und dort verhärtet, sodass das Loch verklebt und die kleinen Küken im schlimmsten Fall ersticken.
Ich drehte das Ei also um und machte das kleine Loch wieder frei; tatsächlich war schon alles verhärtet und kaum entfernte ich ein bisschen von dem Sekret, streckte sich ein kleiner Schnabel aus dem Loch und schnappte nach Luft. Rettung in letzter Sekunde also. Dann konnte es ja weiter gehen!

Ich übte mich in Geduld und lies dem kleinen Racker die Nacht Zeit, um sich aus dem Ei zu befreien. Am nächsten Morgen hatte sich tatsächlich etwas getan; rundherum war das Ei aufgepickt, sodass gefühlt nur ein kleiner  Schupser fehlte, um sich aus dem Ei zu befreien. Doch das Küken machte keine Anstalten. Es piepste wie ein Großer, bewegte sich aber kaum und mit der Zeit immer weniger. So ein Schlupf kann 24 Stunden dauern, also wartete ich weiter und rannte mindestens jede halbe Stunde ins Badezimmer, um nach zu sehen, ob das Küken noch atmete. Währenddessen schaute ich mir Videos an, von Leuten, die Küken aus dem Ei geholfen hatten und las sehr oft, dass das meistens schief geht. Na super. Weiter warten also, er musste schon bereit für die Welt sein.

Mittags: nichts.

Abends: nichts.

Ich ging ins Bett, stellte mir nachts um 2 den Wecker, um die Luftfeuchtigkeit im Brutautomaten zu überprüfen und hoffte darauf, ein Küken zu sehen. Nichts und mein flaues Gefühl im Magen wurde größer.

Eigentlich hatte ich mich bewusst gegen Starthilfe entschieden; wenn das Küken nicht selbst schlüpfen konnte, würde es sowieso nicht überleben. Doch morgens wachte ich auf und wusste, wenn ich ihn nicht sofort da raus holen würde, würde er sterben. Schließlich kämpfte er schon seit zwei Tagen und jetzt würde er es auch nicht mehr schaffen. Wieder rannte ich ins Bad und wider aller Empfehlungen und Ratschläge machte ich das Ei vorsichtig auf.

Was ich sah, war kein schöner Anblick und sofort stiegen mir die Tränen in die Augen. Er sah so hilflos und klein aus, hatte überhaupt gar keine Chance alleine zu überleben. Ich wusste, dass ich ab jetzt gar nichts mehr der Natur überlassen konnte, sondern alles dafür tun musste, dass er überlebt. Durch die zwei Tage im offenen Ei war die Eiflüssigkeit so hart geworden, dass sie wie eine Schale um ihn lag. Er konnte sich nicht bewegen und ich erkannte nicht einmal, wo sein Kopf war, so zusammengerollt lag er da. Ich badete ihn vorsichtig in warmen Wasser und langsam konnte ich Flügel und Beine von seinem Körper lösen. Es war tatsächlich ein kleines Küken, was da zum Vorschein kam, auch wenn es mehr an einen Alien erinnerte. Er hatte eine riesige Beule am Kopf -was normal ist bei Haubenhühnern, ich in diesem ersten Moment zu meiner Schande aber eindeutig als Fehlbildung interpretierte. Außerdem waren seine Füßen zusammengerollt, er konnte also nicht auf ihnen stehen.

 

Die nächsten Tage bestanden aus Intensiv-Aufpäppel-Kur für Marylin, wie ich sie genannt hatte. Ich baute Schienen für die Füße, damit die Krallen richtig wachsen konnten und fütterte sie nach einem Tag mit der Spritze. So viel Aufmerksamkeit und Kuschelstunden hat selten ein Küken auf dieser Welt bekommen, das verspreche ich euch…

Und tatsächlich: die Kur schlug an. Aus einem kleinen Pflegefall wurde ein ziemlich freches, eingebildetes Küken.

 

Zur Sozialisierung bekam sie -mittlerweile musste aber auch ich eingestehen, dass es eigentlich ein „er“ war – zwei Geschwisterchen, denen sie schnell alles nach machte und plötzlich gar nicht mehr der Boss war.

 

so sieht er jetzt aus 🙂

Mittlerweile hat sich einiges getan; ich habe mich überreden lassen, ihm dann doch irgendwann einen männlicheren Namen als „Marylin“ zu geben und konnte mich mit Alf anfreunden. Alf behauptet sich jetzt neben zwei weiteren Hähnen in seiner kleinen Bande und macht nebenbei Filmkarriere.

 

Und insgeheim ist er immer noch meine kleine Marylin.

 

2 Gedanken zu “vom Sorgenkind zum Filmstar

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