Zu dick zum Fliegen

 

Teil 1

Die Entscheidung fiel schnell. Ich hatte einen neuen Mitbewohner -bzw. war ich mir ziemlich sicher, dass es eigentlich eine Mitbewohnerin war. Und wer mit mir lebt, der braucht einen Namen, so war das nunmal. Emma sollte sie heißen und sie bekam ihren sorgfältig ausgewählten Platz auf einem Hocker unter dem Fenster. Genau so, dass die Sonne tagsüber auf sie scheinen konnte. Und für nachts positionierte ich eine Wärmelampe. Die Kiste kleidete ich mit Kleintierstreu, einem Nest und einem Handtuch aus.
Recht stolz auf die Konstruktion setzte ich mit neben Emma. Ich beobachtete sie und merkte, wie ich etwas hilflos da saß. Ich wusste nicht genau was ihr fehlte, wusste nicht, wie ich sie anfassen sollte und schon gar nicht, wie ich sie möglichst schnell wieder fit für die Freiheit machte.

Bis dahin hatte ich viel gelesen und wusste -theoretisch- schon ganz genau, wie man Mauerseglerküken groß zieht oder Erwachsene füttert, aber ich konnte nicht einmal einschätzen, wie alt sie war. Wie ihr in meinem letzten Post schon hier lesen konntet, waren die anfänglichen Tipps, die ich bekam, alles andere als hilfreich. Umso erleichterter war ich, als mir endlich jemand wirklich helfen konnte. Ich landete bei einer Auffangstation ganz in meiner Nähe, die schon etliche Mauersegler wieder aufgepäppelt hatten. Unsicher wie ich mir war, packte ich also sofort Emma ein und fuhr mit ihr zu besagter Stelle. Wir wurden schon erwartet und zusammen guckten wir uns sofort mein kleines Sorgenkind genauer an.


Schritt 1: Situation einschätzen.

Im ersten Post habe ich bereits erklärt, dass es immer menschlicher Hilfe bedarf, wenn ein Mauersegler auf dem Boden gefunden wird. Und um ihm zu helfen, ist es wichtig zu wissen, was ihm fehlt. Dazu reicht es meistens schon, wenn man ihn aufmerksam beobachtet. Wie verhält er sich? Bewegt er sich komisch, sieht er geschwächt aus? Sind seine Federn zerzaust und er hat sich aufgeplustert? Ist gerade Brutzeit und könnte es sich um ein Jungtier handeln?
Bei Emma hatten wir das Problem recht schnell gelöst; sie war ein junger Vogel, der vermutlich zu früh aus dem Nest gehüpft war. Für mich als Neueinsteiger-Vogelretter war das nicht gleich ersichtlich, aber es gibt ein Merkmal, an dem man das eigentlich sofort festmachen kann. Mauersegler, die noch nicht bereit zum Fliegen sind, haben Federspulen an der Innenseite ihrer Flügel. Diese verlieren sie im Laufe der Zeit und erst wenn sie verschwunden sind, sind auch die Federn weit genug entwickelt, dass sie den Kleinen tragen können.

Federspule
Wenn die Federspulen weg sind, ist das ein Zeichen, dass Emma bereit zum Fliegen ist.

Doch Emma hatte noch ein kleines Problem, dass ihr einen Strich durch den Flug gemacht hatte. Sie war zu dick zum Fliegen. Als Olli von der Auffangstation mir das sagte, musste ich lachen. Wenn ich mit allem gerechnet hätte, aber nicht, dass sie aufgrund ihres Gewichts nicht fliegen konnte. Allerdings ist das normal bei den jungen Vögeln; ein paar Tage vor ihrem ersten Flug verweigern sie Essen von den Vogeleltern und machen eine Diät, die ihnen den Start erleichtert. Ein paar Gramm musste Emma also noch von ihren sowieso schon zaghaften 41 Gramm abspecken, bevor es in die große weite Welt ging.
(Die 41 Gramm sind aber kein Richtwert  für euren Fundvogel! Teilweise unterscheiden sich die Zahlen sehr, weil die Vögel unterschiedlich groß sind. Daher ist eine Einschätzung durch einen Experten immer ratsam.)

Emma ist neugierig

 

Schritt2: Die richtige Versorgung.
Zum Aufpäppeln habe ich Emma am ersten Tag eine Elektrolytenlösung gegeben, was Mauersegler aber eigentlich fressen, sind Insekten. Und da sie sehr viele davon am Tag brauchen, ist die einfachste und beste Variante, Heimchen zu verfüttern. Damit sie sich nicht verletzten, werden die Beinchen im tiefgefrorenen Zustand abgemacht und dann verfüttert -je nach Gewicht jede Stunde 2-3. Das funktioniert bei jungen Vögeln relativ leicht, da sie noch nach dem Essen betteln. Die Größeren dagegen machen die Sache etwas komplizierter. Da Mauersegler in der Luft essen, nehmen sie die Heimchen aus der Hand nicht freiwillig an.  Und Emma war natürlich der Meinung, dass sie sich auch schon wie ein großer Vogel verhalten sollte. Mit etwas Überwindung meinerseits musste ich ihr also für jedes Heimchen vorsichtig den Schnabel aufhalten und das Futter hineinstecken. Sie hatte einen ganz weichen Schnabel, sodass absolute Vorsicht geboten war, damit ich sie nicht verletzte. Am einfachsten ging es, wenn ich ihr den Schnabel aufhielt und jemand anderes das Futter hinein schub. Zum Glück verordnete ihre Diät ihr etwas weniger Heimchen, was mich sehr erleichterte.


Schritt 3: Das Nest.
Gut wie ich es gemeint habe, habe ich Emma ein gemütliches Nest aus Stroh und Kleintierstreu gebastelt, allerdings ist das nicht die ideale Lösung. Das Heiligtum der Vögel sind ihre Feder und wenn da etwas nicht stimmt, kann das ganz böse für sie ausgehen. Daher sollte man auch jegliche potenzielle Verletzungsgefahr aus der Welt schaffen, indem man bestenfalls eine Plastikkiste mit Papiertüchern auskleidet. Damit die Kleine auch ihre Muskeln trainieren kann, habe ich an einer Seite ein Handtuch befestigt und eines über die Hälfte der Kiste gespannt. Wichtig ist, das genug Luft in die Kiste kommt.
Nachts machte ich die Wärmelampe an, damit sie es warm genug hatte.

Emmas neues Nest
Emmas neues Nest

So entwickelten wir zwei eine tägliche Routine. Aufstehen, Heimchen aus dem Gefrierfach, Beine ab, Auftauen und Emma bespaßen, bis die Heimchenration gegessen war. Und das alle zwei Stunden. Ich nahm sie so wenig wie möglich aus der Kiste, da sie sich nicht zu sehr an mich gewöhnen sollte -und vor allem ich nicht an sie. Denn wir arbeiteten ja auf ein gemeinsames Ziel hin: Die Freilassung.
Und dass diese schon viel näher bevor stand, als mir lieb war, könnt ihr ihr im nächsten Post lesen.

Ein Gedanke zu “Zu dick zum Fliegen

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