Eigentlich wollte ich nur kurz die Tomaten gießen. Es hatte die letzten Tage nicht viel geregnet und die Pflanzen ließen schon die Blätter hängen. Doch als ich mit zwei vollen Gießkannen vor dem Beet stand, hörte ich einen Vogel im Gebüsch rascheln. Ich dachte mir nicht viel dabei, aber als er auch
nicht weg flog, als ich immer näher kam, wurde ich misstrauisch. Ich stellte die Gießkannen ab und kniete mich zu ihm auf den Boden. Er machte keine Anstalten weg zu fliegen, sondern kam sogar ein paar Schritte auf mich zugekrochen. Mh, komisch, der ist bestimmt gegen eine Scheibe geflogen und steht unter Schock, dachte ich mir und ging ein paar Schritte zu Seite. Er begann schneller zu laufen und mit den Flügeln zu schlagen, doch all seine Versuche in die Luft zu kommen, blieben ergebnislos. In dem Moment tat mir der Kleine richtig leid und ich mir wurde klar, dass ich ihn nicht hier draußen lassen konnte. Schließlich wurde es schon dunkel und der Himmel zog sich zu. Ja, ich habe ein Talent dafür, immer gießen zu wollen, kurz bevor es regnet, doch in diesem Fall war das eindeutig für etwas gut. Die Tomaten waren vergessen und ich eilte in den Keller um Handschuhe und einen Karton zu holen.
Ich hatte Hemmungen ihn anzufassen, schließlich wollte ich ihn nicht verletzten oder zu sehr erschrecken, doch zum Glück hielt er ganz still. Ich nahm ihn auf die Hand und so wie er da saß, sah er eigentlich ganz fit aus. Und süß.
Ich wohne jetzt im zweiten Sommer hier und ich bin immer davon ausgegangen, dass jedes Jahr an unserem Haus Schwalben brüteten. Also war für mich die logische Schlussfolgerung, dass es sich bei dem kleinen Abenteurer in meiner Hand auch um eine Schwalbe handelte. Und so groß wie sie war, musste sie schon ausgewachsen sein. Doch als ich meinem Freund Bilder schickte, wurde ich eines besseren belehrt. Keine Schwalbe, ein Mauersegler. Ist eben doch gut, einen Biologen in der Familie zu haben. Nur über das Alter waren wir uns unschlüssig. Aber egal, Hilfe brauchte er so oder so.
Also trug ich ihn behutsam in meine Wohnung und richtete ich ihm ein kleines Nest aus Kleintierstreu und Stroh. Den Karton stelle ich unter eine Wärmelampe, die ich zum Glück noch von meinen Küken hatte. Da ich es wirklich sehr schwer einschätzen konnte, was ihm fehlte, entschied ich mich, ihm eine Elektrolytenlösung zu geben. Das ist eine Mischung aus Wasser, Zucker und Salz, die ihn mit den wichtigsten Mineralien versorgen sollten. Ein Teelöffel Salz und 7-8 Teelöffel Zucker auf 1 Liter Wasser.
Vorsichtig tröpfelte ich ihm die Mischung an den Schnabelrand (nie direkt ins Maul geben!) und merkte, wie er die Tröpfchen annahm. Ich war erleichtert und der Gedanke, dass er morgen wieder fit in die große weite Welt starten würde, verfestigte sich. Ich konnte ja nicht wissen, wie falsch ich damit lag..
Am nächsten Morgen war ich der festen Überzeugung, dass sich Mr. Abenteuer von seinem Schock
erholt hatte. Ich nahm ihn samt seines Nestes aus dem Karton, trug ihn in meinen Garten und hielt ihn in die Luft. Er zögerte, doch schließlich breitete er die Flügel aus, legte sich flach hin und startete.
Ganze 5 Meter kam er weit, bevor er sich auf der nächstbesten Hecke retten konnte. Ich merkte wie leichtsinnig es von mir war, ihn fliegen lassen zu wollen, er hätte sich so verletzten können. Scheinbar war es doch nicht nur der Schock, der mich ihn gestern auf dem Boden liegend finden ließ. In dem Moment realisierte ich, dass es ernster war und ich fühlte mich wirklich schlecht.
Behutsam las ich ihn wieder ein und ich hatte das Gefühl, dass er erleichtert war, wieder in den geschützten Karton krabbeln zu können.
Und dann recherchierte ich. Ich las jede Internetseite durch, die ich zum Thema Mauersegler fand, telefonierte mich durch das halbe Telefonbuch und suchte nach Tips, Erfahrungen und Hilfe. Und ihr könnt mir glauben, was mir vermeintliche Spezialisten alles rieten, war unglaublich. So unglaublich, das selbst ich, die bis dato noch nicht einmal wusste, dass es einen Unterschied zwischen Mauerseglern und Schwalben gibt, geschweige denn jemals einen groß gezogen hätte, wusste, dass das nicht stimmen konnte. Und ich möchte, dass es jeder erfährt, weil so viele kleine Leben davon abhängen können!
Lass ihn liegen. Der erholt sich schon und wenn du ihn aufnimmst, kannst du ihn nicht wieder auswildern.
Nein. Wenn ein Mauersegler auf dem Boden liegt, dann hat das einen Grund. Es bedeutet, dass irgendwas nicht stimmt, denn Mauersegler sind so gut wie nie auf dem Boden. Sie bauen ihre Nester in schwindelerregender Höhe und fangen ihre Insekten im Flug. Wissenschaftler vermuten sogar, dass Mauersegler während dem Flug schlafen können. Also bitte nicht liegen lassen. Er braucht dich.
Und sobald er wieder bei Kräften ist, wird er sich in der freien Wildbahn auch alleine durchschlagen können. Es gibt Leute (-> Deutsche Gesellschaft für Mauersegler), die sich da intensiv mit auseinander gesetzt haben und beobachten konnten, dass man Mauersegler, die artgerecht von Menschenhand großgezogen wurden, bedenkenlos einfach in der Natur starten lassen kann.
Werf‘ ihn einfach in die Luft, der kann vom Boden aus nicht starten.
Okay..wenn wir jetzt wissen, dass er aus einem bestimmten Grund am Boden liegt, zum Beispiel eine Verletzung, wie um alles in der Welt können wir ihm dann helfen, indem wir ihn in die Luft werfen? Das Beste was passieren kann, ist, dass er wieder herunterfällt, ohne sich eine noch schlimmere Verletzung zuzufügen. Segler können ganz klar vom Boden starten, auch wenn das selten ist, die Aussage ist also schonmal falsch. Das Erschreckenste daran finde ich, dass mir dieser wertvolle Tip von einem Tierarzt gegeben wurde. Wenn man doch keine Ahnung, warum gibt man das dann nicht einfach zu.
Füttere ihm Hackfleisch.
Mauersegler sind Insektenfresser. Und unser Ziel sollte es sein, sie möglichst artgerecht und damit gesund aufzupäppeln. Da hat Fleisch und Ei und irgendwelche Milchprodukte überhaupt gar nichts auf dem Speiseplan verloren. Als mir ein Wildtierpfleger diesen Tip gab, ergänzte er in einem Nebensatz, dass er wisse, dass man das nicht machen sollte, aber er es einfach besser findet. Und dass bisher kaum ein Mauersegler bei ihm überlebt hätte. Aber so ist das eben mit Wildtieren.
Wenn ich im Nachhinein über seine Worte nachdenke, macht mich das einfach nur unglaublich traurig. Wie kann man so gleichgültig und kalt so einem Thema gegenüber sein. So einem Tier gegenüber.
Weil aber jede Geschichte mit einem Happy Ending aufhören sollte, habe ich tatsächlich eines für euch: Es gibt eine Gesellschaft für Mauersegler, die ein internes Netzwerk von Auffangstationen extra für Mauersegler besitzt. Dort bin ich auf super nette und hilfsbereite Menschen gestoßen, die mich zum Glück an jemanden ganz in meiner Nähe vermitteln konnten. Doch davon im nächsten Eintrag mehr.
Ein Gedanke zu “Hallo, kleiner Freund”